Samstag, 4. Oktober 2008

Der Niedergang der Volksparteien

Kurz vor der Landtagswahl in Bayern habe ich einen interessanten Artikel des Götttinger Politologen Prof. Franz Walter entdeckt. Der Artikel thematisiert die Krise der Volksparteien, aber anders als in den letzten Jahren wird dabei nicht hauptsächlich die SPD thematisiert, sondern der Fokus liegt auf der Verschlechterung der Perspektive für die Christdemokraten durch erhebliche demographische Veränderungen. Eine wie ich finde gute Analyse bieter er beispielsweise an dieser Stelle, wo es heißt:
Insofern: Die Sorgen der Union dürften keineswegs geringer sein als diejenigen der Sozialdemokraten. Die traditionsverwurzelte Kernwählerschaft der CDU/CSU aus der Generation der Geburtsjahrgänge der zwanziger und dreißiger Jahre nimmt von Wahl zu Wahl ab. Die CDU ist in Deutschland die einzige Partei, der nun schon seit mehreren Bundestagswahlen hintereinander etliche Hunderttausende Wähler mehr wegsterben, als durch das Erstwahlrecht hinzukommen. Das mag der Hauptgrund dafür sein, dass die Union nach 1994 bundespolitisch nie mehr die 40-Prozent-Grenze hat überschreiten können. Ihr jahrzehntelanges Primärreservoir, die Alten der Sozialisationsära Adenauer, Erhard und Kohl, schmilzt sukzessive zusammen.

Sehr interessant ist hierbei das Walter hinter den schlechter werdenden Wahlergebnissen einen Kohorteneffekt vermutet. Für ihn hat damit konservatives Wahlverhalten nichts mit dem tatsächlichen Alter zu tun, sondern mit dem Geburtstjahrgang. Logisch dürfte dabei erscheinen, dass die Wahlergebnisse kaum besser werden dürften. Fraglich ist dabei, ob sich das in Zukunft wirklich in diesem Umfang bestätigen wird. Interessant dazu sind noch zwei weitere Kennzahlen:

Bei den 18- bis 45-jährigen Bundesbürgern schaffte die Union 2005 nicht einmal mehr 30 Prozent.

CDU/CSU und FDP zusammen sind 2005 bei den 18 bis 59-Jährigen Bundesbürgern gerade einmal auf gut 41 Prozent der Stimmen gekommen; die Parteien "links" davon verfügen in diesem Segment über eine deutliche absolute Mehrheit.
Die letzten Hochburgen der Unions-Wählerschaft finden sich demnach bei Katholiken, Bauern, Mittelständlern und Ländlern. Interessant hierbei ist, dass der Verlust der Bedeutung von Volksparteien von vielen Politikwissenschaftlern auf einen Verlust der Bedeutung der innerstaatlichen Konfliktlinien bzw. Cleavages zurückgeführt wird. Diese vier verbliebenen starken Wählergruppen entsprechen allerdings zum Teil den ursprünglich konservativen Wählergruppen der vier Hauptcleavages:
Kirche vs. Staat
Kapital vs. Arbeit
Stadt vs. Land und
Zentrum vs. Peripherie

Somit wird einhergehend mit dem Verlust der innerstaatlichen Cleavages auch die Parteibindung an die Volksparteien immer schwächer, was addiert zum Aussterben der Stammwählerschaft der Union ein echtes Problem für diese in einigen Jahren darstellen könnte.
Richtig interessant wurde dieses Thema allerdings erst für mich, als sich nach der Landtagswahl eine interessante Frage aufgeworfen hat. Die CSU ist eine eigenständige Partei und wie alle eigenständigen Parteien, muss diese bei Wahlen natürlich auch die 5 % Hürde übersteigen. Bei der Bundestagswahl ist das soweit kein Problem, da es ja immer noch die "Huckepackregel" gibt, die besagt, das eine Partei auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen darf, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt. Durch die zweistellige Anzahl an Wahlkreisen dürfte das für die CSU in Bayern also niemals ein Problem werden. Bei der Europawahl welche nächstes Jahr ansteht dürfte es für die CSU allerdings nicht ganz so einfach werden, denn sie muss in ganz Deutschland die 5 % Hürde schaffen. Ich hab mir das dann mal durchgerechnet und es sieht wie folgt aus:
Bei der EP 2004 hatte die CSU knappe 2,063 Millionen Stimmen und einen bundesweiten Stimmenanteil von 8,0% bei einer Wahlbeteiligung von 43% bundesweit und 39,7 % in Bayern. In Bayern waren diese 2 Millionen Stimmen knapp 57 %. Wenn man jetzt davon ausginge, dass die bayerische CSU sich ein wenig erholt, aber das dennoch bei EP-Wahlen bevorzugt kleinere Parteien gewählt würden und somit die CSU bei knappen 45% landen würde, wären das bei einer bayrischen Wahlbeteiligung von 40% knappe 1,66 Millionen Stimmen. Wenn die bundesweite Wahlbeteiligung konstant bliebe käme die CSU auf bundesweite 6,2 % - also ganz schön knapp. Die Angst der CSU dürfte aber wohl darin bestehen:
Während die Bayern Pfingstferien haben, sind in gleich acht anderen Bundesländern - darunter das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen - an diesem 7. Juni Kommunalwahlen.
Geht man also von einer leichten Erhöhung der bundesweiten Wahlbeteiligung aus, bei einer gleichzeitigen Verschlechterung der bayrischen Wahlbeteiligung und einem weiteren miesen Ergebnis der CSU ist sehr deutlich abzusehehn, was geschehen könnte. Keine eigenständige CSU-Fraktion im europäischen Parlament, was dann eine deutliche Schwächung der Rolle der Partei in der Union bedeuten würde. Sind zwar alles ungelegte Eier, doch ist es sehr interessant wen man die ganze Sache im Auge behält.

Interessant was wiederum Franz Walter zum Thema Bayernwahl sagt:

Selbst in Bayern hielt man in den vergangenen Wochen für vorstellbar, was über Jahrzehnte nicht einmal denkbar war: Dass die CSU die Macht demnächst mit einem Koalitionspartner wird teilen müssen. Spätestens dann aber wäre vorbei, was ein halbes Jahrhundert als eherne kulturelle Regel galt - dass Bayern und die CSU symbiotisch unzertrennlich verwoben sind. Man hat in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen beobachten können, wohin dergleichen führen mag.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte man die SPD und das Land zwischen Rhein und Weser als Identität konstruiert ("Wir in NRW" – hieß die Parole), dann mussten die Sozialdemokraten Mitte der neunziger Jahre nach drei Legislaturperioden der absoluten Mehrheit die Grünen mit ins Kabinett nehmen. Und fortan bröckelte die Übereinstimmung von Landesmentalität und hegemonialer Partei. Die SPD brach erst 1999 in den Kommunen ein, dann 2005 bei den Landtagswahlen. Am Ende stand die Opposition und schlimmer noch: Eine anhaltend tiefe Depression und fortwährende Ratlosigkeit.


Auch das eine gewagte Prognose, die sich erst noch an der wahren Entwicklung prüfen lassen muss. Das nächste Jahr verspricht allerdings mit all seinen Wahlen ein sehr spannendes zu werden. Damit aber genug politisches für heute, ich hoffe der Text ist nicht zu lange geworden!


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